Unter einem Euthyroid-Sick-Syndrom (ESS), (Synonyme: Non-thyroidal illness syndrome [NTIS], Non-thyroidal illness (NTI), Niedrig-T3-Syndrom, Low-T3-syndrome, Thyroid allostasis in critical illness, tumours, uremia and starvation [TACITUS-Syndrom] ) versteht man Veränderungen im Schilddrüsenhormonstoffwechsel, ohne dass eine Erkrankung oder Funktionsstörung der Schilddrüse vorliegt. Diese reaktive Antwort kann von allostatischen Reaktionen des Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Regelkreises, dyshomöostatischen Veränderungen, medikamentösen Interferenzen und gestörten Assay-Charakteristiken bei kritischer Erkrankung herrühren.
Der klassische Phänotyp wird bei klinisch euthyreoten Patienten, Versuchspersonen oder Tieren, die hungern, Winterschlaf halten oder an schweren, nichtschilddrüsenbedingten Allgemeinerkrankungen leiden, beobachtet. Dazu gehören unter anderem Leberzirrhose, Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, ein Bypass im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit, chronische Niereninsuffizienz, diabetische Ketoazidose, Hypothermie, Anorexia nervosa, Verbrennungen, Polytraumata und Sepsis. Jedes Trauma, Operationen, spezielle Ernährungsgewohnheiten – wie beispielsweise Fehl- und Mangelernährung oder Fasten – können innerhalb von Stunden Veränderungen der homöostatisch geregelten Schilddrüsenfunktion bewirken und zu pathologischen Befunden führen, die als Non-thyroidal Illness (NTI) oder Euthyroid-Sick-Syndrom (ESS) bezeichnet werden. Die Störungen des klassischen Euthyroid-Sick-Syndroms umfassen eine erniedrigte Konzentration des Schilddrüsenhormons T3 (Low-T3-Syndrom), eine erhöhte reverse-T3-Konzentration, und in der Regel normale TSH- und FT4-Konzentrationen. Bei sehr schweren Verläufen findet sich aber auch ein reduzierter Sollwert des Regelkreises mit niedrigen TSH- und FT4-Konzentrationen. Dieses Muster rührt von Veränderungen im peripheren Transport und Stoffwechsel der Schilddrüsenhormone, insbesondere hinsichtlich der Dejodierung, in der Regulation der TSH und in manchen Fällen der Schilddrüsenfunktion selbst her. Das klassische Muster stellt die Antwort des thyreotopen Regelkreises auf eine allostatische Last vom Typen 1 dar.Ein alternativer Phänotyp mit einem weitgehend inversen hormonellen Muster kann bei bestimmten physiologischen und pathologischen Situationen wie Schwangerschaft, Adipositas, Ausdauertraining und bei manchen psychiatrischen Erkrankungen auftreten. Er ist typischerweise durch ein High-T3-Syndrom, eine gesteigerte Plasmaproteinbindung von Schilddrüsenhormonen und einen erhöhten Sollwert des Regelkreises gekennzeichnet und resultiert aus einer allostatischen Last vom Typen 2.